[Spurensuche
jüdischer Geschichte
– das Ghetto in Wilna]
Ponar
Der kleine Ort Ponar und seine Umgebung waren berühmt wegen
der schönen Landschaft. Leicht erreichbar mit der Bahnlinie oder auf der
Straße, etwa sieben Kilometer von Wilna entfernt, war der Ort in
Friedenszeiten ein Ausflugsziel für die städtische Bevölkerung.
der Weg nach Ponar
Quelle: Grigorij Schur: Die Juden von Wilna, S. 201
Die sowjetische Besatzungsmacht hatte in Ponar große Gruben ausgehoben,
die als Kraftstofflager dienen sollten, jedoch nie benutzt worden waren.
Diese Gruben wurden das Massengrab für zehntausende Juden, sowjetische
Krieggefangene und andere GegnerInnen der Nazis.
Die Massenmorde begannen, als Anfang August die
Einsatzgruppe 9 nach Wilna eingezogen war. Bis Ende Dezember des Jahres 1941
hatten Wehrmacht, SS, Einsatzkommandos und litauische Unterstützer drei
Viertel der Juden und Jüdinnen in Wilna ermordet. Herman
Kruk
beziffert die Zahl der Ermordeten Ende 1941 mit 47.447 Menschen.
Vorbereitung zum Massenmord in Ponar
Quelle: Freund, u.a.: es firt keyn weg zurik, S. 38
Obersturmführer Schauschutz führte in dieser Zeit das
Oberkommando in Ponar. Er perfektionierte die Mordorganisation, indem er
z.B. die Benutzung von Maschinengewehren untersagte: die Treff- und
Tötungssicherheit "einfacher" Gewehre erschien ihm höher. Deutsche
Offiziere, wie
Weiss
befehligten Einheiten aus Deutschen und Litauern. Drei Einheiten kamen
jeweils zum Einsatz: Die erste transportierte die Opfer auf Lastwagen aus
der Stadt. Eine weitere Einheit war zuständig für ihre Bewachung in Ponar,
Flüchtende wurden auf der Stelle erschossen. Diese Einheit hatte auch
unerwünschte Zuschauer, wie BewohnerInnen der Region, vom Gelände fern zu
halten. Die zum Tode Bestimmten wurden etwa einhundert Meter von den Gruben
entfernt zusammen getrieben, mussten sich entkleiden und dann in Gruppen von
zehn bis zwanzig Menschen an die Gruben heran treten. Die dritte Einheit,
die Schauschutz persönlich unterstellt war, stellte die Todesschützen. Die
Erschossenen stürzten in die Gruben, Sand wurde über die Körper gestreut und
die nächste Gruppe heran gebracht.
Massenmord in Ponar
Quelle: Freund, u.a.: es firt keyn weg zurik, S. 39
Nicht alle Schüsse waren jedoch tödlich. Einige Opfer wurden
nur verwundet. Einige konnten verletzt aus dem Massengrab kriechen und
schlugen sich wieder in die Stadt, später in das Ghetto, durch. Schon am 4.
September 1941 berichtete Herman Kruk von Geflüchteten aus Ponar. Judith
Troyak, ein 14jähriges Mädchen, erzählte ihm von den Massenmorden. Hier sind
einige Seiten im Tagebuch von Herman Kruk verloren gegangen, dann folgt der
Absatz: " … es ist mein letzter Wunsch: die Wörter sollen in die Welt der
Lebenden gelangen … Wird dann die Welt nicht schreien? Wird die Welt einmal
Rache nehmen?"
(Kruk, S. 54)
Täter
Ein Massaker in
Litauen:
Soundfile RealAudio (hebr.):
Boz shel Dam!
(Übersetzung
der Zeugenaussage im Demaniuk-Prozess)
3.4. Franz
MURER
Franz Murer, der Schlächter
von Wilna
Quelle: Freund, u.a.: es firt keyn weg zurik, S. 38
als 24jähriger
Adjutant von Gebietskommissar Hingst von 1941
bis 1943 und war "zuständig für jüdische Angelegenheiten". Den überlebenden
Opfern ist er als "Schlächter von Wilna" in Erinnerung. Murer liebte es,
seine Opfer zu verhöhnen. Seine unerwarteten Kontrollen am Ghettotor waren
gefürchtet, endeten sie doch oft für diejenigen, die Nahrung ins Ghetto
schmuggelten, in Ponar.
Seine Nachkriegskarriere ist nicht uninteressant: Er kehrte in die
Steiermark, wo seine Familie einen Hof betreibt, zurück. 1947 wurde er
aufgespürt. Etliche ZeugInnenaussagen bestätigten seine sadistischen Morde.
Er wurde in die Sowjetunion ausgeliefert. Weitere Belastungsmaterialien
führten zu einer Verurteilung von 25 Jahren Zwangsarbeit. 1955
unterzeichneten Österreich und die Alliierten den Staatsvertrag. Die
sowjetische Regierung hatte zugesagt, die österreichischen Gefangenen,
inklusive der Kriegsverbrecher zurückzuschicken. Österreich wiederum war
verpflichtet, sie den eigenen Gerichthöfen zu unterstellen. Franz Murers
Verbleib war ungeklärt, er stand offensichtlich nicht auf den Listen der
Zurückgeschickten.
Im Rahmen einer Recherche zur Festnahme Adolf Eichmanns gelangte Simon
Wiesenthal 1960 auf die Spur Murers. Als er auf einer österreichischen
Behörde nach genauen Daten zur damaligen Festnahme Murers 1947 suchte, wurde
Simon Wiesenthal vorgeschlagen, Murer doch selbst zu befragen. Es stellte
sich heraus, dass Murer als Bauer und Obmann einer Landwirtschaftskammer in
Österreich tätig war.
Die Strafsache Murer war eingestellt. Mehrere erneute Anläufe, die Sache
Murer vor das Gericht zu bekommen, endeten ergebnislos.
Und wenn er nicht gestorben ist, …
(vgl. Freund, u.a. (Hg.): es firt kejn weg zurik, ab S. 97)
3.5. Martin
WEISS
Martin Weiss, Chef des Mordkommandos in Ponar
Quelle: Harro Schweizer: Ghetto, S. 35
SS-Sturmbannführer, Klempner
aus Karlsruhe,
Chef der Wilnaer Gefängnisse,
leitete ab Juni 1942 das Sonderkommandos in Ponar und wurde "Herr von Ponar"
genannt, nahm persönlich an den Massenmorden teil, arbeitete ab 1943 in dem
Judenreferat der Gestapo, im Februar 1950 für die Verbrechen in Ponar zu
lebenslanger Haft verurteilt.
3.6. Bruno
KITTEL
Bruno Kittel liquidierte das Wilnaer Ghetto
Quelle: Harro Schweizer: Ghetto, S. 40
geb. 1922, Absolvent einer
Theaterschule in Österreich, Saxofon- und Klavierspieler, löste im Juli 1943
Murer und Weiss ab. Er liquidierte das Wilnaer Ghetto. "Kittel schlägt
niemanden ins Gesicht, er tritt niemanden mit den Füßen; stattdessen
vernichtet er seine Opfer auf zynische Weise – ruhig, bedächtig und mit
Gefühl. Wenn er selbst Menschen erschießt, bittet er sie ´höflich` darum,
sich `nicht aufzuregen`, `nicht nervös` zu sein, und während er das sagt,
richtet er seine automatische Pistole auf die Köpfe der Unglücklichen und
erschießt sie einen nach dem anderen, wie Spatzen, ganz ruhig und ohne jede
Verlegenheit."
(Schur, S. 200/201)
Bruno Kittel tauchte nach dem Krieg unter.
Das Lied von Ponar
Das Lied entstand 1943 für einen Wettbewerb, den der
Judenrat ausgeschrieben hatte. Es wurde komponiert von dem damals 11jährigen
Alek Volkovisky und Shmerke
Kaczerginski verfasste den Text (Übersetzung nach Daniel Kempin: Mir
lebn eybik. Lider fun getos un lagern)
Radioübertragung Jom haSchoah, Jerusalem
hagalil.com/shoah/holocaust/zfirah.ra
...Dikh ruft dayn kind. Dich ruft Dein Kind.
3.7. PONARLIED ORIGINAL
3.8. ORIGINALTEXT
Quelle: Shmerke Kaczerginski: Churbn Wilne, S. VIII
1. Still, still, lasst uns schweigen,
Gräber wachsen hier.
Die Feinde haben sie gepflanzt,
wachsen sie grün ins Himmelblau.
Es führen Wege nach Ponar hin,
kein Weg führt zurück.
Ist der Vater dort verschwunden
und mit ihm das Glück.
Still, mein Kind, weine nicht, Schatz,
es hilft kein Weinen.
Unser Unglück werden die Feinde
ohnehin nicht verstehen.
Selbst die Meere haben Grenzen,
die Lager haben Zäune,
nur unsere Qual
nimmt kein Ende.
2. Frühling ist ins Land gekommen,
hat uns den Herbst gebracht.
Ist der Tag heute auch voller Blumen,
uns sieht nur die Nacht.
Vergoldet der Herbst
Schon die Zweige,
blüht in uns der Schmerz.
Eine Mutter bleibt vereinsamt,
ihr Kind muss nach Ponar.
Die im Eis gefesselte Wilja
Hat auch vor Qualen gestöhnt.
Es jagen Eisschollen
durch Litauen
jetzt ins Meer hinein.
Die Finsternis zerrinnt,
aus dem Dunkel leuchten Sonnen.
Reiter, komm´ geschwind,
dich ruft dein Kind.
3. Stiller, stiller, es brodeln Quellen
in unseren Herzen.
Doch solange die Tore nicht fallen,
müssen wir stumm bleiben.
Freu´ dich nicht, Kind,
dein Lächeln ist jetzt
für uns Verrat.
Der Feind soll den Frühling
Erleben wie das Blatt den Herbst.
Lass die Quelle ganz leise fließen,
sei still und hoffe …
Mit der Freiheit kommt der Vater,
schlaf doch, mein Kind, schlaf.
Wie die eisbefreite Wilja,
wie die grün erblühenden Bäume,
so leuchtet bald das Freiheitslicht
auf deinem Gesicht.
Shtiler, shtiler
Text: Shmerke Kaczerginski – Musik: Alek VolkoviskY
shtiler, shtiler, lomir shwaygn,
kvorim vaks do.
s´hobn zey farflantst di sonim:
grinen zey tsum blo.
s´firn vegn tsu Ponar tsu,
s´firt keyn veg tsurik.
iz der tate vu farshvundn
un mit im dos glik.
shtiler, kind mayns,
veyn nisht, oytser,
s´helft nisht keyn geveyn,
undzer umglik veln sonim
say vi nisht farshteyn.
s´hobn breges oykh di yamen,
s´hobn tfises oykhet stamen.
nor tsu undzer payn
keyn bisl shayn.
friling oyfn land gekumen
un undz harbst gebrakht.
iz der tog haynt ful mit blumen,
undz zet nor di nakht.
goldikt shoyn der harbst
oyf shtamen,
blit in undz der tsar.
blaybt faryosmt vu di mame,
s´kind geyt oyf Ponar.
Vi di Vilye a geshmidte,
t´oykh geyokht in payn,
tsien kries ayz
durkh Lite
itst in yam arayn,
s´vert der khoyshekh vu tserunen,
fun der fintster laykhtn zunen.
Rayter, kum geshvind –
Dikh ruft dayn kind.
Shtiler, shtiler, s´kveln kvaln
Undz in harts arum.
Biz der toyer vet nisht faln
Zayn mir muzn shtum.
Frey nisht, kind, zikh,
Síz dayn shmaykhl,
Itst far undz farrat.
Zen dem friling zol der soyne
Vi in harbst a blat.
Zol der kval zikh ruik flisn,
shtiler zay un hof.
Mit der frayhayt kumt der tate –
Shlof zhe, kind mayns, shlof.
Vi di Vilje a bafrayte,
vi di beymer grin – banayte,
laykht bald frayhayts – likht
oyf dayn gezikht.
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sound/ponar.ra
(Gesungen von
Nizza Thobi)
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hagalil.com 19-02-2003 |