Nachkriegsgeschichte
Am 11. September 1943, kurz vor der
Liquidierung des Ghettos, hatte der Stab der Widerstandsbewegung den Entschluss
gefasst, alle KämpferInnen in die Wälder zu schicken. Sie schlossen sich
bestehenden Partisanengruppen an und es entstand die jüdische Gruppe "Nekome" –
Rache. Mitglieder von Nekome befreiten gemeinsam mit der Roten Armee die Stadt
Wilna im Mai 1944.
drei Partisaninnen (von rechts nach links) Selde
Treger, Reisl Kortshak und Vitka Kempner
Quelle: Avrom Sutzkever: fun Wilner geto, S. 211
eine Gruppe der Partisaneneinheit "Nekome" (Rache)
Quelle: Avrom Sutzkever: fun Wilner geto, S. 207
eine Gruppe der Vereinigten Partisanenorganisation
bei der Rückkehr nach Wilna
Quelle: Avrom Sutzkever: fun Wilner geto, S. 249
Direkt nach dem Einzug in die Stadt begannen
die jüdischen Männer und Frauen der Partisanengruppen in dem verlassenen Ghetto
nach Spuren zu suchen: Das Tagebuch von Yitzhak
Rudashevski,
zum Beispiel, war ein Fund seiner Cousine Sore, als sie in die letzte Unterkunft
des Jugendlichen und seiner Eltern zurückkehrte und dort die versteckten Seiten
fand. Aus den Malinen wurden die verborgenen Kulturgüter geborgen. Unter
Federführung von Avrom
Sutzkever und Shmerke
Kaczerginski
entstand in dem Gebäude des ehemaligen Ghettogefängnisses ein jüdisches
Museum.
von links nach Rechts: Avrom Sutzkever, Abba
Kovner und Gershon Abramowicz mit einem Handkarren voller geretteter Materialien
Quelle: David E. Fishman: Dem Feuer entrissen, S. 49
ein Teil der geretteten Skulpturen von Wilnaer
Museen
Quelle: Avrom Sutzkever: fun Wilner geto, S. 252
Quelle: David E. Fishman: Dem Feuer entrissen, S. 49
Das Museum bestand nicht lange: Im Rahmen der
Stalinschen Kampagne gegen Kosmopolitismus und Zionismus wurde es 1949
geschlossen. Für viele Jahre war damit eine Eiszeit, die fast vierzig Jahre
währte, über alles Jüdische in Vilnius eingeleitet. 1989, mit der
gesellschaftlichen Öffnung im Klima der Perestroika, entstand das
Vilna Gaon
Jewish State Museum. In dem "Grünen Haus" ist heute das Leben und der
Widerstand der Wilnaer Juden und Jüdinnen dokumentiert.
Das "Grüne Haus", Holocaust exhibition & museum, Pamenkalnio 12, Vilnius
Foto 2002
Eingang zum "Grünen Haus", 2002
Das Bildmaterial dieser Online-Dokumentation
setzt sich aus historischen Dokumenten und Fotos, die im Jahr 2002 in Vilnius
gemacht wurden, zusammen. Die aktuellen Fotos verdeutlichen, dass das jüdische
soziale und kulturelle Leben und die jüdische Geschichte, die vor der Schoah das
Leben der Stadt mitprägten, im Stadtbild nicht mehr sichtbar sind. Allein die
Gedenktafeln des Vilna Gaon Jewish State Museums machen im öffentlichen
Straßenbild auf die letzte Phase des Überlebenskampfes der Wilnaer Juden
aufmerksam und geben so Anhaltspunkte für eine mögliche Erinnerung.
Denkmal vor dem Grünen Haus, 2002
Erinnerung in Deutschland
I
n Deutschland schlagen die Diskussionen
um die "Bewältigung" der Vergangenheit seit Jahren immer wieder hohe Wellen:
laute Stimmen fordern, dass doch endlich Schluss sein muss mit "dieser
Geschichte", andere analysieren, dass doch auch die Deutschen Opfer der
Geschichte waren, ob in Stalingrad oder dem Sudetenland, und wieder andere
glauben sich aufgrund dieser Geschichte in der moralischen Pflicht wieder Kriege
zu führen – wie im Fall Jugoslawiens, anstatt andere Lösungen zu suchen. In
allen diesen Fällen wird die Geschichte für das jeweilige politische Interesse,
und nicht in emanzipatorischer Absicht, funktionalisiert und zeigt wenig von
einem verantwortungsvollen Umgang mit der Erinnerung.
Subjekt der Erinnerung ist immer der einzelne
Mensch, jedoch immer in Abhängigkeit von der Umgebung, der Gruppe, des Landes,
die seine Erinnerungen prägen. Es gibt nicht nur ein Gedächtnis für das Erlebte,
sondern auch dafür, was uns erzählt wurde, was wir gelesen oder studiert haben
und was um uns herum für wichtig gehalten wurde und wird.
Die Menschen, die uns von der Geschichte
erzählen können, werden weniger. Erinnerung ist immer mehr mit Wissen um das
Geschehene verbunden. Ignatz Bubis schrieb 1999: "Wenn immer wieder von
jüdischer Seite, aber nicht nur von dieser, das Erinnern und Gedenken
eingefordert wird, so sollte das lediglich der Gestaltung der Gegenwart und der
Zukunft dienen und hat mit persönlicher Schuld nichts zu tun. … Die heute
Zwanzigjährigen werden das nächste halbe Jahrhundert die gesellschaftliche und
politische Entwicklung in Deutschland entscheidend mitbestimmen und
mitgestalten. Dieses kann nicht geschehen, ohne das Wissen um die Shoah, die
letztendlich zeigt, was plötzlich Menschen anderen Menschen antun konnten. Die
Lehren aus dieser Zeit können nur dann beachtet werden, wenn man die
schrecklichen Seiten dieser Zeit kennt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde müssen
diese Generationen diese Zeit kennen und an diese erinnert werden." (Erinnern
dient der Zukunft, Artikel AG 34/99 "Zeitzeichen 2000")
Wir danken dem Vilna Gaon Jewish State Museum
ganz herzlich für die Zusammenarbeit!
Gudrun Schroeter
hagalil.com
03-03-2003